Die Presse berichtet im Moment ausführlich über dramatische Müllberge in Neapel und zeigt immer wieder dieselben Bilder von sich türmenden sowie brennenden Müllbergen (Links zu den Online-Nachrichten findet man hier). Das trifft sicherlich für die Vororte von Neapel zu. Die Berichte vermitteln jedoch den Eindruck, dass die ganze Stadt im Müll versinkt und dass es in ganz Neapel zum Himmel stinkt.
Das ist aber nicht richtig! Ich lebe nun seit vier Wochen in dieser Stadt, habe jedoch noch keine derart katastrophalen Müllberge gesehen. Das liegt sicher daran, dass ich mich vorwiegend (aber nicht ausschließlich!) im Zentrum oder in Gegenden aufhalte, die auch von Touristen besucht werden. Ich möchte den Müllnotstand in der Region Kampanien keinesfalls verharmlosen. Auch die italienische Presse titelt „Situazione tragica“. Aber ich sehe keinen Grund, wieso Touristen die Stadt Neapel meiden sollten.
Zugegebenermaßen gehört Müll hier viel mehr zum Stadtbild als in Deutschland. Man sieht immer wieder kleinere Haufen mit Müllsäcken am Straßenrand, abends auch übervolle Container. Dies liegt daran, dass es in der Regel keine privaten Mülltonnen gibt, wie dies in Deutschland der Fall ist. Statt dessen wird der Müll entweder in den an Straßenrändern bereitgestellten Containern entsorgt, oder einfach vor die Haustür gestellt. In meiner Straße beispielsweise machen wir folgendes: Entsorgen wir unseren Müll tagsüber, legen wir unsere Müllsäcke in die Nische einer von Touristen gemiedenen Seitengasse; abends stellen wir unseren Hausmüll direkt neben unserem Eingangstor ab. Auch der Einzelhandel entsorgt zum großen Teil seinen Verpackungsmüll in den öffentlichen Containern. In den frühen Morgenstunden wird der Müll dann abgeholt. Den Neapolitanern ist vermutlich klar, dass Touristen eine wichtige Einnahmequelle darstellen. Im Zentrum kommt es also gar nicht erst soweit, dass der Müll anfängt zu stinken.
Heute Morgen habe ich auf meinem Weg zur Arbeit einige Fotos gemacht. Die Müllhaufen musste ich wirklich suchen:
Es ist allerdings unglaublich, welche Unmengen Müll die Neapolitaner produzieren. Einige Beispiele aus meinem Alltag: Bei jedem Einkauf erhält man eine Plastiktüte – die deutsche Angewohnheit, zum Einkaufen Stofftaschen mitzunehmen, ist bis hierher nicht durchgedrungen. Bestellt man in einer einfachen Pizzeria ein Mineralwasser, erhält man einen Plastikbecher sowie eine nicht recyclebare Plastikflasche. Im Büroalltag dasselbe: Mineralwasser wird aus Plastikbechern getrunken, jeden Tag ein neuer Becher. Die PET-Flaschen landen im Müll. Das Mittagessen holen wir meist bei der „Tavola calda“, einer Art „Mittagstisch“. Die Gerichte werden in Alubehälter gefüllt, in Papier eingewickelt, in einer Plastiktüte transportiert und anschließend mit den mitgelieferten Plastikgabeln gegessen. Wenn von der Bar caffè oder spremuta bestellt wird, wird der in kleinen Plastik- oder Papierbechern geliefert, hinzu kommt der obligatorische Becher Mineralwasser. Aus für mich unerklärlichen Gründen wird selbst der caffè, den wir im Büro mit der eigenen Lavazza-Espressomaschine machen, aus kleinen Plastikbechern getrunken. Bei durchschnittlich 4 caffè pro Tag pro Person kommt da schon einiges an Müll zusammen!
Ich bestreite keinesfalls, dass in Neapel und Umgebung in Sachen Müll einiges im Argen liegt. Die Presseberichte über die katastrophalen Zustände in der Peripherie von Neapel, über die überfüllten und daher geschlossenen Mülldeponien, über die Camorra sowie ihr Geschäft mit dem Müll entsprechen bestimmt der Wahrheit. In kleineren, armen Orten in der Nähe von Neapel (beispielsweise in Pozzuoli) habe ich auch schon Müllhaufen gesehen, die zwar nicht stanken, aber sicherlich nicht schön anzusehen waren.
ABER: ich ärgere mich sehr darüber, dass die deutschen Medien immer von “Neapel” im Allgemeinen sprechen. Diese Berichterstattung wird Neapel nicht gerecht und schreckt potentielle Touristen ab. Ich fühle mich nach wie vor sehr wohl hier. Daher: kein Anlass zur Panik! In Neapels Innenstadt, also dem touristischen Zentrum, ist von stinkenden und brennenden Müllbergen keine Spur!
[…] Nachtrag 2: Julia hat ein paar Photos vom Müllnotstand in Neapel gemacht – aus der Innenstadt. Da gibt es wirklich nicht viel zu sehen… […]
Pingback by Dirk Olbertz » Müllnotstand in Neapel? : The Blog that never sleeps — Friday, 25. May 2007 @ 08:55
ABER: Ich wohne hier mit meiner Frau seit etwa eineinhalb Jahren in Pozzuoli und arbeite in Bagnoli, was schon zu Neapel Stadt gehört. Ich fahre täglich an meterhohen Müllbergen vorbei, die oft von frustrierten Italienern angezündet werden. In Pozzuoli wohne ich sicherlich nicht im schlechtesten Viertel, und in Kampanien gibt es weitaus ärmere Städte als Pozzuoli (zum Beispiel Castelvolturno), aber das Müllproblem ist absolut heftig.
Ich stimme allerdings auch zu, was die Innenstadt Neapels betrifft: Vomero oder alles um die Via Toledo herum ist sehr sauber.
Wir beklagen uns auch insgesamt nicht darüber, dass wir hier leben, aber dass Italien und die Menschen, die hier Kinder aufziehen, die Zustände als Katastrophe sehen (bei extrem gesteigertem Krebsrisiko durch den Müll) kann ich absolut nachvollziehen. Wenn ich in Neapel (Bagnoli – auch nicht gerade der schlechteste Stadtteil) laufen gehe, gleicht das mehr einem Eiertanz, weil ich dem Müll ausweichen muss. Extrem sind aber erst Secondigliano, Caserta, Acerra, Giuliano, Ercolano, Quarto, und eben Castelvolturno und alles dazwischen (Licola, Lago Patria, Varcaturo). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Comment by Ben — Thursday, 3. January 2008 @ 19:44
Danke für diesen Artikel. Fand ich sehr interessant zu lesen. Bin über Flickr drauf gekommen.
Comment by lemim — Wednesday, 9. January 2008 @ 00:23
Nicht nur in der Gastronomie werden in Neapel Plastikgeschirr verwendet. Von allen meinen Bekannten auch privat! Wenn überhaupt wird nur eine Mahlzeit pro Tag auf normalem Geschirr serviert. Außerdem wird Müll überall wo man steht und geht hinterlassen. Eine eigenartige Einstellung haben die Menschen in Neapel. Was soll nur aus den Kindern in naher Zukunft werden im achso kinderfreundlichen Italien. Macht sich da mal jemand Gedanken?
Comment by Frettkatze — Friday, 25. April 2008 @ 11:47
hallo ich lebe seit 2 Jahren in Pozzuoli und muss sagen das ich das Leben hier sehr geniesse. Die Muell Probleme darf und kann man allerdings nicht uebersehen. Im Moment hat sich die Situation stark gebessert , und auch fand es sehr erschreckend wie Neapel im Deutschen Fernsehen dargestellt wurde. Es ist nicht so das der Muell bis in Wohnungen reicht und man nur mit Maske auf die strasse gehen konnte, aber ich glaube schon das der typisch Deutsche zeitweise schreiend davon gelaufen waere. Wie auch immer ich denke die Italiener (und es sind nicht alle so) produzieren einfach zu viel ueberfluessigen Muell.
Comment by sus — Monday, 25. August 2008 @ 19:52